Joe, ein älterer Mann, bricht in New York auf der Straße zusammen. Man hört seltsame Klänge einer undefinierbaren Musik, er scheint zu sterben, robbt durch eine Türe oder über eine Schwelle und befindet sich in einer anderen Welt. In einem leeren Nachtlokal. Er ist der letzte Überlebende der jüdischen Familie Falsch.
40 Jahre nach seinem Weggang aus Berlin nach New York im Jahr 1938 sind hier alle versammelt: der Vater, die Mutter, seine kleine Schwester, sein älterer Bruder, seine Tante, die alle in den Konzentrationslagern gestorben sind. Die beiden Zwillingsbrüder, die 1938 mit ihm fortgegangen waren. Der Onkel Ruben mit seiner Frau Natalia, die 1938 nach England ins Exil gegangen sind und in den Jahren des Wiederaufbaus zum Sterben nach Berlin zurückkamen. Auch Lilli hat sich eingefunden, eine junge Deutsche, Joes Jugendliebe, die bei der Bombardierung Berlins umgekommen ist. Sie alle begegnen Joe im Alter ihres Todeszeitpunktes und begrüßen ihn, den ältesten, als das heimgekehrte Kind.
Nach und nach entwickelt sich in dieser ungewöhnlichen Begegnungswelt, in der jede Logik von Zeit und Raum außer Kraft scheint, eine erbarmungslose Generalabrechnung, eine tragisch-komische Familienaufstellung und ein moderner Totentanz. Die Angehörigen der Familie Falsch begegnen sich mit Zärtlichkeit, Sanftheit und einer Solidarität, die ihrer Geschichte und ihrer gemeinsamen Erinnerung als Opfer der Vernichtung in den Nazi-Konzentrationslagern entspringt. Aber auch mit Gewalt, mit grausamen Vorwürfen und Beschuldigungen. Keine mehr oder weniger leicht auszusprechende Wahrheit wird hier unterschlagen Für eine Nacht, jenseits von Leben und Tod, versucht eine jüdische Familie in der Diaspora mit einer Geschichte abzurechnen, die sich seit zweitausend Jahren wiederholt.
René Kalisky hat mit Falsch ein erbarmungsloses Epos über Exil und Vertreibung geschrieben, weit über den jüdischen Kontext hinausreichend. Eine Traumaufarbeitung, wie sie vielleicht nur Tote unternehmen oder das Theater zu suggerieren vermag.
Falsch wurde in den achtziger Jahren in Paris von Antoine Vitez im Théâtre national de Chaillot uraufgeführt und von den Brüdern Dardenne mit gleichnamigem Titel verfilmt. In Bonn wurde es 1987 deutschsprachig erstaufgeführt und zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
Frederic Lion wird die Mammutaufgabe unternehmen, dieses vielschichtige Stück zur österreichischen Erstaufführung zu bringen.
Zum Autor:
René Kalisky geb. 1936 in Brüssel, gestorben 1981, war ein jüdisch-belgischer Autor, dessen Stücke vor allem in französischen Sprachraum Beachtung fanden. Sein Vater Abraham Kalisky wurde in Auschwitz ermordet. Das literarische Schaffen von René Kalisky ist von dieser Erfahrung geprägt.
Im deutschen Sprachraum wurden seine Stücke in Bonn, München und Frankfurt gespielt. Wichtigste Stücke: Sur les ruines de Carthage Jim le téméraire,Europa, Aida vaincue