Unter den Bewohner*innen der Stadt kommen Zweifel auf, ob es sich bei dem gelben, nach Senf riechenden Nebel um ein natur- oder gottgegebenes Unglück handelt. Die kritischen Fragen werden lauter und schließlich kommt ein gewagtes Gerücht in Umlauf: Das Gift im Nebel sei keine Strafe Gottes, sondern stamme aus der Chemiefabrik.
Sämtliche Vertreter der Fabrik sowie die von ihnen eingesetzten Kommissionen aus Ärzten und Chemikern bestehen darauf, dass die Fabrik keinesfalls Ursache des Nebels sei. Aber warum, so fragen sich die kritischen Stimmen leise, wurde in der Stadt ein unterirdisches Kino, einem Bunker gleich, mit 700 Plätzen und einem für 14 Tage ausreichenden Sauerstoffdepot erbaut, wenn es doch angeblich nie etwas zu befürchten gab?
(c) Marcel Köhler
Maria Lazars 1931 geschriebenes Stück stellt Fragen über Verantwortung und Täterschaft in Bezug auf menschengemachte Katastrophen. Giftgas wurde nach dem militärischen Einsatz im Ersten Weltkrieg für viele zum Symbol der Weltvernichtung. Wirtschaftliche und politische Instabilität schürten weitere Ängste.
Der Nebel von Dybern thematisiert, wie Entscheidungsträger*innen sich ihrer Verantwortung entziehen, sich zum Teil der weitreichenden Konsequenzen ihres Handelns nicht einmal bewusst sind oder sein wollen. Menschenleben stehen dabei auf dem Spiel, sowie auch demokratische Werte und die Erhaltung der Umwelt, unseres Lebensraums.
Das Stück widmet sich verschiedenen Formen des Widerstands gegen ein Machtsystem, das gegen das Wohl von vielen und auf das Wohl von wenigen hin ausgerichtet ist. Diese Formen des Widerstands, den die Figuren wählen, reichen von versuchter Aufklärung durch freie Rede, über die Weigerung, Täter*innen und Mitläufer*innen zu unterstützen bis hin zu Sabotage und gezielten Angriffen auf kritische Infrastruktur.
In dem fast 100 Jahre alten Text schwingt auf erstaunlich vielen Ebenen eine große aktuelle Resonanz mit. Auch die drängende Frage der Protagonistin Ist es moralisch vertretbar in eine Welt, die diese Formen angenommen hat, ein Kind zu setzen? scheint heute viele jüngere Menschen angesichts des Klimawandels und weltweiter besorgniserregender politischer Entwicklungen mehr und mehr zu beschäftigen.
In bedächtigen Szenenwechseln nimmt Hebenstreit neuralgische Dialoge ins Visier und fokussiert auf formalisierte Gesten, deren Bedeutung man erst im Verlauf der Handlung retrospektiv erkennen kann. Dafür mit umso mehr Effekt. Nicht nur deshalb ist Der Nebel von Dybern ein spannender Abend. Das wird er auch durch seine unbestimmte Gratwanderung zwischen tragödischem und slapstickhaftem Tonfall. Der Standard
Neunzig Minuten wird flott, engagiert und mit exaktem Timing gespielt. Die Presse
Es ist die brillante Performance aller Beteiligter – dem Ensemble, der Regie, dem effektvollen musikalischen Einsatz und der Ausstattung – welche diese Inszenierung so besonders gelungen macht... European Cultural News
Wiederaufnahme: 14. Mai 2024, 20 Uhr
Weitere Vorstellungen am 15., 16., 17. und 18. Mai 2024, 2024
Maria Lazar (c) Literaturhaus Wien / Österreichische Exilbibliothek
1895 in Wien geboren, wächst Maria Lazar in einer zum Katholizismus konvertierten jüdischen Familie auf. 1920 erscheint ihr Debütroman Die Vergiftung, gefolgt von ihrem ersten Bühnenstück Der Henker, das auf der Neuen Wiener Bühne uraufgeführt wird. Ihr zweites Bühnenwerk, Der Nebel von Dybern, erscheint 1932 unter dem Pseudonym Esther Grenen. Kurz nach seiner Uraufführung 1933 in Stettin, wird das Stück nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wieder abgesetzt. Im gleichen Jahr flüchtet Lazar nach Dänemark und 1938 weiter nach Stockholm. Nach schwerer Krankheit nimmt sie sich 1948 im schwedischen Exil das Leben.
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